Gewalt und Beleidigungen nichts hilft

Guten Tag zusammen

Darf ich ein Thema eröffnen, das mir sehr unter den Nägeln brennt? Ich unterrichte ein Teilpensum von zehn Wochenlektionen an einer fünften Klasse. Die Schülerinnen und Schüler erlebe ich als sehr liebenswürdige Kinder, ich mag sie wirklich gerne und habe Freude daran, dass sie leistungsmässig ziemlich stark sind.

Und doch ist das Unterrichten dieser Klasse eine grosse Herausforderung, weil wir in jeder Lektion aufs Neue mit nicht akzeptablen Verhaltensmustern zu kämpfen haben. Die Knaben toben in Fünfminutenpausen oder vor Unterrichtsbeginn so wild, dass es Verletzte gibt. Sie geraten darüber in Streit und fangen Schlägereien an. Sie beleidigen einander mit den schlimmsten Beschimpfungen, die man sich nur vorstellen kann.

Ein kontinuierlicher Unterricht ist zurzeit kaum möglich. Haben der Klassenlehrer und ich anfangs mit der Klasse das Gespräch gesucht, waren alle für einen Moment ganz still, aber kurz später fingen die Raufereien und Beleidigungen erneut an. Viele Kinder machen das so im Verborgenen, dass wir das kaum mitbekommen.

Elterngespräche sowie Projekte zur Gewaltprävention haben auch keine Besserung gebracht. Am Freitag war ich beim Schulleiter, um ihm zu sagen, dass ich diese Situation nicht mehr ertragen kann und auch keine Verantwortung mehr dafür übernehmen kann.

Bald ist Skilager, und ich hoffe sehr, dass die gemeinsame Zeit dort - allerdings mit drei Parallelklassen zusammen - die Klasse ein wenig mehr zusammenwachsen lässt und das Konfliktpotenzial reduziert. Aber ich fürchte auch, dass die Knaben sich dort nicht an die Spielregeln halten können und dass es möglicherweise zum Ausschluss einiger Schüler (es betrifft ausschliesslich die Knaben) kommen muss. Das ist das Letzte, was ich will, aber vielleicht ist das unvermeidbar.

Am Montag habe ich drei Stunden Unterricht mit der Klasse. Der Schulleiter hat angeboten, dass ich Schüler zu ihm schicken kann, wenn sie gewalttätig werden oder beleidigen. Aber auch das kann ja keine Lösung auf Dauer sein. Was mich zudem stresst: Unsere Arbeitsbelastung durch Elterngespräche ist zurzeit ausserordentlich hoch. Das Verhalten der Kinder zwingt uns dazu, auch diese Probleme noch zu bearbeiten. Es ist unvermeidbar, vor diesem Hintergrund Kollektivstrafen zu verhängen, wenn auch ohne dies zu kommunizieren. Eigentlich würde ich gerne viele besondere Aktivitäten mit der Klasse durchführen: Etwas kochen und gemeinsam in der Schule zu Mittag essen, eine Velotour mit der Klasse unternehmen und vieles mehr. Aber da ist zu befürchten, dass solche Unternehmungen in einem Desaster enden. Also lasse ich das sein, und das müssen die Kinder der Klasse ausbaden, die sich an die Regeln halten können. Noch mehr parallel zu planen, um den gewalttätigen Beleidigern und den angepassten Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, ist zeitlich schwer möglich und irgendwie auch nicht einzusehen in dieser hektischen Zeit.

Vielen Dank fürs Lesen und für Tipps, wie wir diese Situation bessern können und wie ich mich besser davon abgrenzen kann!

Freundliche Grüsse

Katerfilou

Lieber Katerfilou

Besten Dank für deine Frage, die bei uns angekommen ist.
Wir haben sie intern der zuständigen Expertin/dem zuständigen Experten weitergeleitet. Eine Antwort folgt so bald als möglich.

Herzliche Grüsse,
die Redaktion

Hier ein Nachtrag zu dem, was ich am 3.2.2024 geschrieben habe:

Inzwischen haben die Eltern einer Schülerin und die Eltern eines Schülers sich schritflich gemeldet, weil sie die Situation in der Klasse ebenso problematisch finden wie ich. Sie äussern, dass ihre Kinder sich in einem solchen Umfeld nicht wohl fühlen und nicht lernen können. Vor allem leiden sie unter den Beleidigungen und den Handgreiflichkeiten unter den Knaben, die sie allerdings nicht direkt betreffen.

Der Schulleiter hat sich dieses Problems angenommen und bereits erste Gespräche mit Schülern geführt, die weiterhin beleidigen und schlagen. Ich hatte allerdings seit dieser Woche weniger Probleme, weil die Klasse in meinen Lektionen recht ordentlich gearbeitet hat und längst nicht mehr so laut war wie auch schon. Weiterhin ist es aber so, dass ich während Fünfminutenpausen und in offeneren Unterrichtssituationen manche Schüler ständig im Blick haben muss, um zu vermeiden, das wieder Konflikte ausbrechen.

Guten Tag Katerfilou

Im Namen des Forums entschuldige ich mich, dass Sie in diesen Wochen der Abwesenheiten wegen Sportferien so lange auf eine Antwort warten mussten.

Sie schildern eine sehr anstrengende, um nicht zu sagen entmutigende Situation. Um so mehr freut es mich und danke ich Ihnen, dass Sie sich für diese Kinder und die Klasse engagieren, nach wie vor gerne unterrichten, Ideen für Projekte haben und sich zur Situation grundlegende Gedanken machen.
Sie schreiben, was Sie schon alles unternommen haben, und das ist eine Menge: Gespräche im Team, Elterngespräche, Projekte zur Gewaltprävention, jetzt sich einloggen im Forum;-). Also über längere Zeit viel Engagement verschiedener Personen im System…. und mittendrin sind einige Knaben, die sich nach wie vor nicht an Abmachungen / Regeln halten und kein angemessenes Verhalten zeigen.

_Gern schreibe ich Ihnen zu Stichworten in Ihrer Frage meine Gedanken:
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• Gut, dass Sie sich Hilfe geholt haben bei der Schulleitung. Es ist wichtig, dass die SL informiert ist und auch weiss, was schon alles unternommen wurde.

• Die SL führt jetzt auch Gespräche mit den Schülern, ein wichtiges Signal an die Kinder, dass die Lps und die SL gemeinsam dastehen und wollen, dass sich SuS adäquat verhalten.

• Einen Plan B haben: Dass die Schüler bei störendem Verhalten sofort mit ihrem Auftrag ins SL Büro wechseln (oder in eine andere Klasse) ist eine gute Lösung. Diese Intervention wird als (gut abgesprochene und vorbereitete) Sofortmassnahme recht oft eingesetzt. Das gibt Luft und die Lp bleiben handlungsfähig: die Klasse wird weiter gut unterrichtet, die verbleibenden Kinder können arbeiten und werden nicht durch störendes Verhalten der Mitschüler beeinträchtigt. Das kann sich über einige Tage oder Wochen ziehen, bis man als Team eine Strategie entwickelt hat und mit den Schülern passende Massnahmen/ Lösungen entwickeln kann.

• Anstehendes Skilager: Scheuen Sie sich nicht, den Worstcase durchzudenken: Das heisst: Regeln formulieren, die SuS darüber informieren, die Regeln im Vorfeld von den Eltern zur Kenntnis nehmen und- unterschreiben lassen. Diese Info enthält den Passus: Halten sich die Kinder nicht an die Regeln, werden die Eltern kontaktiert und das Kind muss gleichentags aus dem Lager abgeholt werden. Das will niemand, Sie als Lp nicht, die Eltern und die Kinder auch nicht. Doch manchmal ist eine harte klare Umsetzung einer Vorgabe notwendig.

• Dieses Vorgehen können Sie auch bei Ausflügen, Projekten oder Unternehmungen vorausschauend andenken: Wenn sich ein Kind auf einem Ausflug, auch bereits an der Bushaltestelle am Morgen, nicht an die Anweisung der Lp hält: Telefon an die erziehungsberechtigte Person und vereinbaren, wo das Kind abgeholt / übergeben wird.

• An dieser Stelle gibt das Volksschulgesetz auch klare Angaben. Ich weise darauf hin, weil manchmal vergessen geht, dass sich auch SuS, und nicht ausschliesslich Lehrpersonen, im Rahmen des Gesetzes bewegen. Art 28 und die folgenden Abschnitte können helfen, dass Sie als Schule / Lp sich auch ermächtigen, die notwendigen Massnahmen anzukündigen und durchzusetzen, um Ihren Auftrag gut erfüllen zu können. Kinder können nicht einfach machen, was sie wollen….

Art. 28 Disziplin, Massnahmen
1 Die Volksschule sorgt für einen geordneten Schulbetrieb und ein förderliches Lernklima. Die Schülerinnen und Schüler haben die Regeln der Schule für das Zusammenleben einzuhalten sowie die Anordnungen der Lehrerschaft und der Schulleitung zu befolgen.

• Kollektivstrafen: Das ist eine ganz schwierige und heikle Massnahme. Sie werden sich den Zorn der restlichen Kinder holen und auch den Unmut etlicher Eltern, die nicht bereit sind, dies zu akzeptieren. Das kann Ihre Position als Lp schwächen.

Dies sind Gedanken und Tipps zu Ihrer akuten Situation.

Längerfristig denke ich ergänzend:

Was fehlt diesen Knaben, was können sie noch nicht?
• Ihre Wut regulieren, ohne andere zu verletzen?
• Sich angemessen ausdrücken?
• Mit Frustration umgehen?
• Etwas Neues ausprobieren und üben?
• Misserfolge verarbeiten?
• Akzeptieren, nicht Chef zu sein?

Ben Furman und sein Programm «Ich schaff’s» setzt dort an: https://www.exlibris.ch/de/buecher-buch/deutschsprachige-buecher/ben-furman/ich-schaffs/id/9783896705006/ Mit Schülern (und dem Unterstützungssystem) wird in 15 Schritten eine Fähigkeit herausgearbeitet und geübt, die sie noch nicht können. Das ist ein lösungsorientierter Fokus auf Fehlverhalten und will mehr, als «etwas nicht mehr machen».

Pausengestaltung / Anfänge
• Die Frage, was eine gute, erholsame Pause ist, kann als Thema mit der ganzen Schule oder in der Klasse angegangen werden. Mit dem Kollegium wird das ein grösseres, spannendes Projekt werden mit offenem Ausgang.
Vielleicht wird die Klingel abgeschafft? Vielleicht gibt es keine 5-Minutenpausen mehr? Stattdessen Unterrichtsblöcke mit individuellen Pausen der SuS?

• In der Klasse schlage ich vor, den Tagesanfang anders zu machen:
Die Lp ist früh im Schulzimmer, wer in die Schule kommt, geht sofort ins entsprechende Zimmer und beginnt mit einer eigenen, leisen Arbeit. Im Grunde ist niemand im Gang, der Flur ist lediglich die Umkleide.

• Im Klassengespräch, zusammen mit dem Klassenlehrer, könnte man der Frage nachgehen, was und wie eine Pause / Übergang zwischen den Lektionen sein könnte, so dass kein Streit entstehen kann?
Wer braucht was? Wasser? Toilette? Etwas Essen? Bewegung? Ein Spiel?
Als Lp würde ich die Vorstellung weglegen, die Pause sei ein Moment, wo ich als Lp Pause habe und die SuS machen selber Pause. Diese Kinder scheinen grad in diesen Phasen des Tages Führung zu brauchen und Begleitung.
Sie als Lp können vielleicht versuchen, eine Lektion so zu planen und einzurichten, dass während des Unterrichts Zeit für Hinsetzen, Tee trinken und durchatmen möglich werden kann.

Bei diesen letzten Punkten ist vielleicht auch eine Antwort auf Ihre Frage zur Abgrenzung zu finden: Es ist wichtig und besser für das eigene Wohlbefinden, die genannten Schwierigkeiten im Team anzugehen. Zusammen an Themen zu arbeiten und gemeinsam hinzustehen ist ein starkes Signal an die SuS. So kann ich auch, wenn mein Unterricht an einem Tag zu Ende ist, heim gehen und darauf vertrauen, dass die anderen im Team weiterziehen und tragen.

Ich hoffe Ihnen mit meinen Hinweisen Anregungen geben zu können.

Freundliche Grüsse
Niesen

Lieber KaterFilou
Hier einige zusätzliche Gedanken zu deiner Situation: Grundlage von Unterricht ist eine gute, starke Beziehung zwischen Lp, SuS. Möglich, dass für diese Klasse ein TP von 10 Lektionen nicht ausreichend ist. Verfügt die Schule über ein Leitbild, das für das Kollegium verbindlich ist? Stärkere Zusammenarbeit aller an der Klasse arbeitenden LP. Mit regelmässigem Erfahrungsaustausch. Ev. gegenseitige Unterrichtsbesuche.

Freundliche Grüsse

Jomali